Große Aufmerksamkeit wurde der Lesung von Bernhard Schlink im Hotel zur Bleiche in Burg zu teil, die Wolfgang Stute musikalisch begleitete. Foto: Tino Schulz
18. September 2018
Musikalische Lesung
Die Geschichte einer starken Frau
Derinternational renommierte Schriftsteller Bernhard Schlink liest im Burger Hotel „Bleiche“ aus seinem Roman „Olga“.
Wolfgang Stute ist ein Meister auf der Gitarre, das war auch für diejenigen, die ihn nicht kannten, von den ersten Klängen an klar. Was für eine inspirierende Musik. Olga hat er sie genannt und extra komponiert für diesen Abend im Hotel Bleiche in Burg – und sicher folgende, an denen er den Schriftsteller Bernhard Schlink bei dessen Lesungen begleitet.
Am Montagabend jedenfalls erlebte sie ihre Uraufführung und war tatsächlich so etwas wie die in die Sprache der Musik übersetzte Geschichte von Schlinks Romanfigur Olga. Mit der sonoren Stimme des erfahrenen Vorlesers gelingt es Schlink dann schnell, die Zuhörer an Olgas Leben zu interessieren, das von Anbeginn besonders war. „Sie macht keine Mühe, am liebsten steht sie und schaut“, beschreibt eine Nachbarin das Wesen des damals einjährigen Mädchens, das in armen Verhältnissen Ende des 19. Jahrhunderts aufwächst.
Die Eltern haben keine Liebe für das Kind und wohl auch nicht füreinander, die Nachbarin dagegen ist eine wichtige Bezugsperson. Doch als die Eltern kurz hintereinander an Fleckfieber sterben, muss Olga zur lieblosen Großmutter ins Pommersche. Getrennt nun auch von dem einzigen Freund, den sie hatte, Herbert, einem auch eher merkwürdigen Eigenbrötler, der nicht richtig gehen gelernt hat und durch sein Leben rennt. Beide halten trotz der räumlichen Trennung und des Widerstands von Herberts Gutsbesitzer-Familie aneinander fest, wohl auch, weil beide wissen, der jeweils andere ist der einzige Mensch, mit dem er leben kann.
Immer wieder rennt Herbert aber auch von Olga weg: nach Deutsch-Südwestafrika, wo er sich daran beteiligt, Herero und Nama niederzumetzeln und schließlich sogar in die Arktis. Beseelt von deutsch-nationalem Größenwahn ist er überzeugt, die Zukunft Deutschland liegt in der Arktis.
Derweil ist aus Olga eine zielstrebige junge Frau geworden. Lehrerin will sie werden. Wenn auch alles dagegen spricht – sie kann das Geld für die höhere Schule nicht aufbringen, Voraussetzung für das Lehrerseminar – schafft sie es doch, ihren Lebenstraum zu erfüllen. Als sie mit Mitte Dreißig taub wird und nicht mehr unterrichten kann, verdient sie mit Nähen ihren Lebensunterhalt, weiter auf Herbert wartend, der aus dem ewigen Eis (mal sehen wie lange der Begriff infolge des Klimawandels noch taugt) nicht zurückkehrt. Als Näherin in einer Pfarrersfamilie lernt der Junge Ferdinand, der schließlich zum Erzähler wird, Olga kennen. Sie wird ihm später so etwas wie Großmutter. Einfühlsam und berührend, mitunter humorvoll, in wunderbarer Sprache beschreibt Bernhard Schlink die Beziehung dieser beiden Menschen, die so unterschiedlich im Alter sind. (Wie im „Vorleser“.)
„Wie kommt er auf diese Charaktere?“, fragt Heino Masemann, Theologe und selbst Buchautor, in einer kurzen Gesprächsrunde. Erlebtes fließe mit Fantasien zusammen – Dinge, die man gern oder nicht gern erlebt hätte, so Schlink. Nur Herbert sei eine authentische Figur: Herbert Schröder-Stranz lebte von 1884 bis 1912, verschollen in der Arktis. Seine Lebensstationen sind verbrieft. Das Innenleben der Figuren aber sei erfunden. Der Autor nutzt beides, um in der Lebens- und Liebesgeschichte Zeitgeschichte lebendig werden zu lassen. Weimarer Republik, zwei Weltkriege, Nazizeit, Flucht und Nachkriegsdeutschland. Immer wieder sinniert Olga über den verhängnisvollen Drang der Deutschen, alles groß und übermächtig zu wollen. Ein Thema, das Schlink interessiert. Leider ist es nach wie vor aktuell. Olga ist mit ihrer Lebensgeschichte eine Ausnahmeerscheinung, eine Frau, die sich durchsetzt, die sich nicht vereinnahmen lässt, die helle ist bis zu ihrem Tod. Auf die Frage nach der Rolle der Leserinnen für den Schriftsteller kontert der: „Was wären wir Autoren ohne sie? Das Urteil über Literatur liegt immer bei den Frauen – die paar Leser...“
An diesem Abend sieht das anders aus, das Verhältnis dürfte ungefähr fifty-fifty sein. Was aber auch damit zu tun haben könnte, dass der gelernte Jurist Bernhard Schlink ein Schriftsteller mit Weltruhm ist. Sein Roman „Der Vorleser“ wurde in mehr als 50 Sprachen übersetzt und fand auch in seiner Verfilmung große Resonanz.
Wie kommt man mit solchem Weltruhm zurecht?“, will Heino Masemann wissen. „Ich war ja nicht mehr 25, hatte schon ein Leben als Professor und Richter. Die internationale Anerkennung habe ich als wunderbare Zugabe begriffen.“ Seit zehn Jahren auch ist der Autor Jurymitglied des von der Bleiche ausgelobten Spreewald-Literaturstipendium, verrät die Hausherrin Christine Clausing.
Ein Abend voller Genüsse im Hotel Bleiche in Burg. Während im Saal literarisch-musikalisch Meisterliches zu genießen war, trainierte ein paar Meter weiter in der Restaurantküche die deutsche Nationalmannschaft der Köche für das Finale des Culinary World Cup. Ob das wohl genau so inspirierend war?
Biografisches
Berhard Schlink,1944 geboren, der Vater war Theologieprofessor in Heidelberg. Schlink studierte Jura und promovierte zum Dr. jur. Er lehrte an mehreren Universitäten Öffentliches Recht. Er war Richter am Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen. 1989/90 arbeitete er als Berater am Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches der DDR mit. Seinen ersten Krimi schrieb er gemeinsam mit Walter Popp „Selbs Justiz“. Weitere Bücher um den Privatdetektiv Gerhard Selb folgten ohne Co-Autor. Der erste Nicht-Krimi „Der Vorleser“ wurde ein Welterfolg.
Wolfgang Stute ist als Komponist, Produzent, Percussionist und Gitarrist eine musikalische Institution, nicht nur in seiner Heimatstadt Hannover. Für zahlreiche Musical- und Theaterproduktionen war er musikalisch verantwortlich, künstlerisch und im Management arbeitete er lange Zeit mit Heinz Rudolf Kunze zusammen. Künstler wie Rolf Hoppe, Matthias Brodowy, Heiner Lürig, Purple Schulz verlassen sich auf sein musikalisches Können.
Wolfgang Stute & Bernhard Schlink - Olga